„Raprozess“ – Abiturient adaptiert Kafkas Prozeß als Rap

Der Mannheimer Morgen berichtet:  Rund 100 Jahre ist der Roman jetzt alt – ein Klassiker eben, aber veraltet deswegen noch lange nicht. Vor allem nicht in der Version von Tobias Stoll. Der Abiturient am Peter-Petersen-Gymnasium hat sich den „Prozess“ von Kafka vorgenommen und in eine neue Form gebracht. Aus mehr als 200 Seiten wurden knapp sechs Minuten, aus dem Roman ein Rap, den man sich auf der Internetplattform Youtube anhören kann. 

Pflichtlektüre in der Schule schafft es selten zur Lieblingsliteratur von Jugendlichen. Tobias Stoll aber fand Gefallen an der Geschichte von Josef K., der sich einem undurchsichtigen Gerichtsverfahren stellen muss, ohne zu wissen, was er begangen haben soll. „Tobias ist einer der Schüler, die auch etwas für sich selbst aus dem Roman herausziehen konnten“, erzählt sein Deutsch-Lehrer Christian Mahnke.

Im Rahmen einer sogenannten GFS (einer Gleichwertigen Wertung von Schülerleistungen, die wie eine Klausur zählt) für seinen Deutsch-Kurs nahm sich Tobias Stoll des Romans an und schrieb aus dem Stoff einen Raptext. Er rappt seit rund fünf Jahren, allerdings in der Regel ganz für sich. Da geht es ihm eigentlich ähnlich wie dem großen Franz Kafka. „Kafka an sich hat mich fasziniert – vor allem, dass er durch das Schreiben seine Probleme verarbeitet. Ich schreibe meine Gedanken auch auf, um sie aus dem Kopf zu kriegen.“

Aufgenommen im Kleiderschrank

Lehrer Christian Mahnke war begeistert, feilte mit seinem Schüler noch weiter an dem Werk. Etwa einen Monat dauerte die Arbeit am „Raprozess“. Um den Sprechgesang möglichst ohne Störgeräusche aufzunehmen, hockte sich der Mannheimer daheim mit einem Mikro in den Kleiderschrank. Hinterlegt ist der Rap mit Musik sowie Stimmen aus einer Aufführung des Heilbronner Theaters.

Auf 80 Zeilen, in denen er die Handlung nacherzählt, hat Tobias Stoll den Text verdichtet. Im Refrain taucht das zentrale Motiv des Romans immer wieder auf: „Du bist verhaftet und egal, was du machst, es gibt keinen Ausweg, also rein in die Schlacht. Du bist verhaftet, ziehst dich selbst in den Bann, hast du keine Einsicht, bist du ewig gefangen.“

Christian Mahnke findet den Rap so gut, dass er auch in Zukunft im Unterricht damit arbeiten will. Der Sprechgesang interessiert ihn ohnehin. Seine Examensarbeit in Germanistik hatte den Titel „Rap als Literatur einer nicht-literarischen Jugendkultur“. „Der Rap als Medium ist ideal, weil er schülernah ist“, erklärt der 34-Jährige. „Der gesamte Roman wird auf seinen Kern reduziert und die Mischung aus der aggressiven Sprache des Raps und Kafkas unheimlichem, bedrohlichem Sprachstil ist äußerst spannend.“

In Zukunft soll die Rap-Version also auch die nachfolgenden Schüler zum Nachdenken und Interpretieren anregen. Schließlich haben die Rapmusik und Kafkas Schreibstil auch eine wichtige Gemeinsamkeit: Beide spielen mit der Doppeldeutigkeit der deutschen Sprache. Außerdem lässt sich die Romanfigur Josef K. nicht nur als unschuldiges, getriebenes Opfer des Gerichts verstehen. „Wenn man genau liest, entlarvt man Josef K. als einen von Gewalt faszinierten und auch selbst gewalttätigen Menschen“, erklärt Christian Mahnke.

Wer neugierig geworden ist, kann auf www.youtube.de einfach das Wort „Raprozess“ in die Suchmaske eingeben und gelangt so zum Rap. Tobias Stoll will übrigens auch in Zukunft Texte schreiben, die große Bühne aber sucht er nicht. „Ich erhoffe mir davon nichts, das Rappen bleibt mein Hobby.“

Von unserem Redaktionsmitglied Fabian Busch

© Mannheimer Morgen, Freitag, 21.06.2013

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