Wo der Mistral bläst….,
da kann man auch bei strahlendem Sonnenschein frieren. Dies war nur eine der Reiseerfahrungen, die die Französischschüler der 8. Klassen bei ihrem Frankreichaustausch in L’Isle sur la Sorgue in der Provence machen konnten.
Voller Vorfreude traf man sich am Nachmittag des 7. März mit den begleitenden Lehrern, Susanne Müller und Thomas Schmidl, am Mannheimer Hauptbahnhof, um ganz entspannt im TGV in 6 1/2 Stunden nach Avignon zu reisen. Dort warteten unsere Gastfamilien auf uns, und je näher wir unserem Ziel kamen, umso mehr machte sich Aufregung unter den Reisenden breit: Wie wird meine Gastfamilie sein? Werde ich mich verständigen können? Wie werde ich wohl das Wochenende allein in meiner Gastfamilie verbringen?
Diese Anfangsnervosität legte sich aber recht schnell, wie alle am folgenden Morgen in unserer Gastschule “Collège Jean Bouin” erfahren konnten, wo alle Schüler bei einem leckeren französischen Frühstück mit croissants und chocolat chaud recht begeistert über die Aufnahme in ihren Gastfamilien berichten konnten. Im Anschluss an das Frühstück wurden wir von Monsieur Moretti, dem Direktor des “Collège Jean Bouin”, durch die neu erbaute Schule geführt. Alle waren sehr beeindruckt von den modernen und sehr freundlich wirkenden Räumen. Bei einer Hospitation im Unterricht konnten die Schüler sich einen persönlichen Eindruck von der Schulsituation machen. Vieles von dem, was bei uns im PPG zurzeit im Blick auf das neue Schulgebäude diskutiert wird, ist an unserer Gastschule schon umgesetzt: So haben die Schüler 60 min Stunden und sie begeben sich in Fachräume, anstatt im eigenen Klassenzimmer zu sitzen.
Der Nachmittag bot Gelegenheit, einen Stadtrundgang durch L’Isle sur la Sorgue zu unternehmen. Erfreulicherweise war das Wetter nach starken Regenschauern besser und zeigte das strahlende Licht des Südens, das uns die ganze Woche über begleiten sollte. L’Isle sur la Sorgue heißt auch das „Venedig der Provence“, weil es von vielen Kanälen umgeben ist. Das Wasser des Sorgueflusses speist zahlreiche Wasserräder, die heute Touristenattraktion, im Mittelalter aber Antriebskraft für viele Manufakturen waren: So wurde die Wasserkraft etwa für Gerber, Färber und auch für Woll- und Seidemanufakturen eingesetzt, weshalb unsere Partnerstadt im Mittelalter wirtschaftlich eine ähnliche Bedeutung wie die in der Nähe gelegenen Städte Avignon und Carpentras hatte. Der Stadtrundgang wurde nach einer Museumsbesichtigung mit dem Verspeisen eines leckeren Eises beendet und dann ging es in die Gastfamilien, die meist ein recht interessantes Programm für die deutschen Austauschschüler vorbereitet hatten: von Geburtstagspartys bis zu Stadtbesuchen war alles dabei, sodass das Wochenende für die meisten Schüler viel zu schnell vorbeiging und keiner sich einsam fühlte, weil er die deutschen Mitschüler nicht sah.
Am Montag stand die Besichtigung Avignons auf dem Programm. Leider konnte der berühmte Papstpalast wegen eines dort stattfindenden Kongresses nicht besichtigt werden. Aber eine Bimmelbahn brachte uns an die schönsten Stellen der Altstadt. Danach gab es ausreichend Zeit für eine Mittagspause im wärmenden Sonnenschein und um in den nahe gelegenen Läden Shopping zu betreiben. Der Sportlehrer Jacky Trèmé begleitete die Gruppe und zeigte uns auch eher unbekannte Plätze der Altstadt, wie z. B. die Universität und die pittoreske Rue des Teinturiers, die kopfsteingepflastert und platanengesäumt dem gewundenen Lauf der Sorgue folgt, die dort leise vor sich hinplätschert und ebenfalls Wasserräder antreibt. In dieser fast dörflichen Idylle legten wir eine kurze Rast ein, bevor uns der Zug wieder in das heimatliche L’Isle sur la Sorgue zurückbrachte.
Der Dienstag stellte einen Höhepunkt dar. Unser Ziel war die alte Festungsstadt Les Baux. „Man kommt von Saint Rémy, wo die Provence-Erde lauter Felder von Blumen trägt, und auf einmal schlägt alles in Stein um“ – so drückte es Rainer Maria Rilke aus. Nach einem Zwischenstop in der römischen Ruinenstadt Glanum vor den Toren Saint Rémys und einem Spaziergang um das psychiatrische Sanatorium „St. Paul de Mausole“, wo sich 1889/1890 der berühmte Maler Vincent van Gogh behandeln ließ, nachdem er sich in Arles ein Ohr abgeschnitten hatte und wo einige seiner berühmtesten Landschaftsbilder enstanden, ging es in zahlreichen Kurven zum ehemaligen Bauxitsteinbruch in Les Baux hinauf. Dort wartete eine Überraschung auf uns, die bei Schülern und Lehrern gleichermaßen Begeisterung hervorrief. An die Wände eines ehemaligen Steinbruchs wurden mit unzähligen Beamern verschiedenste Bilder provenzalischer Malern projiziert, von den Impressionisten bis Picasso und Chagall war alles vertreten, was sich in der Malerei mit dem Thema „Wasser und Meer“ beschäftigt hatte. Die Bilder wechselten ständig und wurden mit passender Musik untermalt. Es entstand eine zauberhafte Atmosphäre, die manche Schüler dazu inspirierte, eine Choreographie vor den Bildern zu entwickeln, sodass zu Bildender Kunst und Musik noch die dritte Dimension Tanz hinzukam. Nach einer Mittagspause in Les Baux schauten wir uns noch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Arles an: die Arena, das Theater und das romanische Portal und den Kreuzgang von Saint Trophime, die zu den bedeutendsten Werken der Romanik in Südfrankreich gehören. In der Arena gab es eine sehr interessante kontroverse Diskussion zu Ethik und Unterhaltungswert von Stierkämpfen und sonstigen aktuellen gewaltfaszinierten Events unserer Mediengesellschaft.
Der Mittwoch führte uns nach Fontaine de Vaucluse, wo die Sorguequelle entspringt. Vaucluse bedeutet im Lateinischen „Vallis clausa“- „geschlossenes Tal“. Abrupt ragen am Ende dieses Tales hohe Felsen empor und aus einem schlundartigen Trichter fließen unterirdische smaragdgrüne Wasser aus den Alpen und dem Mont Ventoux hervor, im Frühling bis zu 90 Kubikmetern pro Sekunde. Neben diesem Naturschauspiel besuchten wir noch eine Papiermühle und ein Museum über die Resistance in Frankreich und in der Provence. In ihm konnten die Schüler erfahren, dass das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen in der Vergangenheit nicht immer so ungetrübt und freundschaftlich war, wie es inzwischen sich ausgebildet hat.
Der Donnerstag war der letzte Tag unseres Austauschprogrammes und brachte uns in das Zentrum der provenzalischen Ockerproduktion: nach Roussillon. Im Conservatoire des Ocres erfuhren wir viel Interessantes über die frühere Herstellung von Ocker und seiner Bedeutung für Farben aller Art. Leider stand dieser Tag unter der Herrschaft des Mistral. Das Thermometer war um 15 Grad gefallen und Windböen über 100 km/h machten den Spaziergang durch das wunderschöne Roussillon zu einer Art von Survivaltraining für deutsche und französische Schüler, die uns an diesem Tag begleiteten. Unseren französischen Kollegen Monique und Jacky gelang es, die Bistrotbesitzer davon zu überzeugen, uns Asyl zu gewähren und uns die Möglichkeit zu gestatten, unsere Lunchpaketein den windgeschützten Räumen des Bistrots zu verspeisen. Alle Lehrer trugen zu diesem Rettungsmanöver bei, indem sie die vom Sturm gebeutelten Schüler zu einer heißen Schokolade einluden.
Samuel Becket hatte in Roussillon während des Krieges sein bekanntes Theaterstück „Warten auf Godot“ geschrieben. Wir warteten nicht auf Godot, sondern auf den wärmenden Bus, der uns nach einem weiteren stürmischen Besuch in Gordes sicher an unseren Ausgangsort zurückbrachte.
So verging die Zeit wie im Flug: der blaue Himmel der Provence und die zahlreichen Erlebnisse mit Land und Leuten bleiben eine unvergessliche Erinnerung, die kein Französischbuch und Sprachunterricht gleichwertig vermitteln können. Zum Sprachenlernen gehört nämlich wesentlich interkulturelles Lernen, was wir bei unserem Austausch in überreichem Maß erfahren durften. Dafür danken wir auch allen französischen Schülern und ihren Familien und ganz besonders Monique Salignon, die diesen Austausch so großartig vorbereitet und organisiert hat. Wir freuen uns sehr auf den Gegenbesuch in der Woche nach den Osterferien.
Thomas Schmidl