Der Mannheimer Morgen berichtet: Ganz klein ist das Bild, aber es ist das einzige Original-Foto. Der Mannheimer Hof-Fotograf hatte es 1896 von der damals 19-jährigen Johanna Geissmar gemacht. Jetzt wurde die Aufnahme in der Schule ausgestellt, die seit Februar dieses Jahres den Namen der jüdischen Ärztin trägt. Marlies Wolf-Plotnik, eine in den USA lebende Verwandte der Familie, hatte es dem Johanna-Geissmar-Gymnasium auf der Schönau zur Verfügung gestellt.
Auf dem Schulfest am vergangenen Wochenende sollten Schüler, Eltern und andere Besucher mehr über die Frau erfahren. „Johanna – wer?“ hieß das Projekt, in dessen Rahmen die Lehrer Martin Geipel und Katharina Ascheron mit den Schülerinnen Johanna Gries, Melissa Kimmel, Diana Morantes und Rosa Seitz eine kleine Ausstellung vorbereitet hatten. Denn auch wenn die Schule jetzt schon ein halbes Schuljahr nach Johanna Geissmar benannt ist, können einige Schüler und Eltern mit dem Namen noch nicht allzu viel anfangen.
Kein Wunder, schließlich war die jüdische Ärztin auch in ihrer Geburtsstadt Mannheim lange Zeit eine Unbekannte – obwohl ihr Lebensweg für heldenhafte Aufopferung inmitten der dunkelsten Phase der deutschen Geschichte steht. Johanna Geissmar wurde 1877 in Mannheim geboren. Als eine von ganz wenigen Frauen schaffte sie es an die Universität, studierte in Heidelberg Medizin und eröffnete eine Kinderarztpraxis. 1933 floh die Jüdin zunächst in den Schwarzwald, 1940 wurde sie nach Gurs deportiert. Als 1942 von dort aus ein Zug in das Vernichtungslager Auschwitz fuhr, stieg Geissmar gemeinsam mit der Mannheimer Oberin Pauline Maier mit ein, um den kranken Deportierten auf dem Weg beizustehen. Vermutlich noch an ihrem Ankunftstag wurde sie in Auschwitz ermordet.
2009 wurde das Schicksal Geissmars durch die ZDF-Dokumentation „Engel in der Hölle“ bekannter, im vergangenen Jahr entschied dann die Schulkonferenz des ehemaligen Peter-Petersen-Gymnasiums, die Einrichtung nach Johanna Geissmar zu benennen.
Geschichtslehrer Martin Geipel hatte sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Geschichte der neuen Namenspatin auseinandergesetzt, Quellen gesammelt, Personen im In- und Ausland kontaktiert. Während der Projekttage vor dem Schulfest unternahm er mit zwei Schülerinnen eine Reise nach Saig, dem Örtchen im Schwarzwald, in dem Johanna Geissmar zwischenzeitig gelebt hatte.
Dort hatte ihm eine Familie ein weiteres Exponat zur Verfügung gestellt: eine mit Intarsien verzierte Truhe. Auf dem Deckel sind neben dem Namen „Geissmar“ auch das Datum der Silberhochzeit von Johannas Eltern sowie ein Motto eingraviert. Laut Geipel ist es der bisher einzige gefundene private Gegenstand Johanna Geissmars. fab
© Mannheimer Morgen, Mittwoch, 30.07.2014
Zum Bericht des Mannheimer Morgen…
Bilder: Witschaß, Meltzer